Hybride Organisation und die Vermeidung von Dysfunktion

In einem früheren Beitrag haben wir unter dem Stichwort „post-agil“ über die hohe Fluidität von zukünftigen Organisation geschrieben. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass unsere Beschreibung von Organisation als Organismus bei vielen Führungskräften und Mitarbeitenden Unsicherheit auslöst. Es scheint nur schwer vorstellbar zu sein, dass ein solches Konstrukt stabil und verlässlich handlungsfähig ist. Daher ist es für uns notwendig geworden, die Organisation der unmittelbaren Zukunft konkreter zu beschreiben und damit zugänglicher zu machen.

Wir haben dafür die Beziehung in der klassisch-hierarchischen Organisation zwischen unterschiedlichen Hierarchieebenen genauer betrachtet und herausgearbeitet, was in der Zusammenarbeit grundsätzlich geklärt und geregelt ist. Dabei unterscheiden wir vier Dimensionen, um die Interaktion und Beziehung von unterschiedlichen Hierarchieebenen, Abteilungen, Teams und Verantwortlichen in einem Unternehmen zu beschreiben. In der Regel bestimmt die höhere Hierarchieebene über (1) Rahmenbedingungen, (2) Ziele, (3) Produkte/Ergebnisse und (3) Informationsfluss der unteren Hierarchieebenen. Die Einschränkung der Autonomie der unteren Einheiten durch die oberen wird dabei nicht in Frage gestellt.

Als Reaktion auf die Anforderungen von Kunden und Markt wird jedoch schon seit langem in fast jedem hierarchischen Unternehmen die Verantwortung und damit der Einflussbereich von Funktionsträgern, Teams, Abteilungen und Steuerungsgremien neu verteilt, um die Komplexität des Umfeldes beherrschbar zu machen. Die daraus entstehenden Freiheiten in den genannten vier Dimensionen werden in unterschiedlicher Art und Weise genutzt; gleichzeitig führen sie jedoch oft zu Unklarheiten, Irritationen und Dysfunktionalitäten.

Die stimmig geordnete hierarchische Pyramide gerät weiterhin mit zunehmender VUCAness des Umfelds an ihre funktionalen Grenzen, weil viele dieser neuen Domänen und Logiken nicht transparent gemacht werden und oftmals nicht gemeinsam ausgehandelt sind. Daraus entsteht bei Zunahme der Geschwindigkeit und Komplexität zusätzliche organisationale Dysfunktionalität. Selbst die Anpassung der Organisation in Richtung einer Matrixorganisation oder die Einführung einer zusätzlichen Projektorganisation scheint nicht ausreichend Abhilfe zu schaffen.

Die Lösung ist aus unserer Erfahrung keinesfalls: Wir machen alles agil! Abhilfe schafft vielmehr eine angepasste und adäquate Veränderung und Erweiterung der bestehenden Organisationsform: eine hybride Organisation. Deren Anspruch muss es sein, Funktionalität wiederherzustellen und sie dauerhaft zu gewährleisten, auch wenn einzelne Elemente der bisherigen Logik nicht mehr untergeordnet sind. Dies gelingt, wenn die neue hybride Organisation die agilen Prinzipien der Transparenz und der Autonomie konsequent anwendet. D.h. wenn Rollen oder Kreise (wir wählen die Begriffe Rollen und Kreise bewusst, um mit dieser Nomenklatur die neue Logik zu verdeutlichen) gegründet werden, muss deren Interaktion zu anderen Elementen der Organisation transparent gemacht und der Autonomiegrad im Sinne der Organisation entweder ausgehandelt oder bestimmt werden. Es muss jederzeit sichtbar und nachvollziehbar sein, wie die Interaktionen dieser neuen Rollen und Kreise in der Organisation integriert sind. Auf dieser Basis können der bestehenden Organisation dann auch kontinuierlich neue Elemente hinzugefügt oder neu entwickelt werden.

In der Agilisierung von Organisationen bzw. von Organisationseinheiten müssen wie in der klassisch-hierarchischen Organisation die gleichen Dimensionen (Rahmenbedingungen, Ziele, Produkte/Ergebnisse und Informationsfluss) gesichert sein, um Dysfunktionalität zu vermeiden. Wo in der klassisch-herarchischen Organisation diesen Dimensionen jedoch über das Vorgesetztenprinzip klar definiert sind, erlangen agile Teams bzw. Rollen und Kreise größeren Spielraum in der Gestaltung der Dimensionen. Unumgänglich für eine funktionierende (hybride oder agile) Organisation ist die Präzisierung der Beziehungen zwischen den jeweiligen Elementen (Führungskräfte, Rollen, Abteilungen, Kreise, Teams usw.) auf folgenden vier Ebenen:

1. Rahmenbedingungen

Wer bestimmt die Rahmenbedingungen einer Rolle oder eines Kreises?
Welche Ressourcen stehen zur Verfügung?
Können die Ressourcen (Zeit, Kompetenz, Mittel usw.) erweitert und entwickelt werden?…

2. Ziele 

Wer bestimmt die Ziele und Ergebnisse, die eine Rolle oder ein Kreis erreichen soll?
Wer bestimmt den Beitrag zum Purpose?…

3. Produkt & Ergebnis

Welches Produkt oder Ergebnis müssen eine Rolle oder ein Kreis liefern?
Wer bestimmt die Qualität und den Reifegrad des Produktes?
Wer bestimmt zu welchem Zeitpunkt dieses wem zur Verfügung stehen muss?…

4. Information

Welcher Informationsfluss muss von einer Rolle oder einem Kreis realisiert werden?
Welche Informationen mit welchem Detailgrad müssen an welcher Stelle zur Verfügung gestellt werden?…

(Die genannten Leitfragen stehen nur exemplarisch für eine Vielzahl von Detailfragen, die im Einzelfall geklärt werden müssen. )

Im Sinne der möglichst autonomen Handlungsfähigkeit aller neuen (agilen) Elemente (Rollen oder Kreise) sollte jeweils versucht werden, diesen Elementen möglichst viel Verantwortung und Entscheidungsspielraum in allen Dimensionen zu übertragen. Dieser Klärungsprozess kann in einem hochdynamischen und komplexen Umfeld jedoch nicht eindeutig und dauerhaft für alle Gegebenheiten geklärt werden, sondern bedarf des kontinuierlichen Dialogs und Anpassung.

Christian Fust und Johannes Ries