Kulturtransformation: “Two Swings & Safe Space!“

Es gibt meistens zwei Zeitpunkte, zu denen wir von Unternehmen und Auftraggeber*innen angesprochen und um Unterstützung gebeten werden: Zum einen, wenn eine Kulturtransformation kommuniziert ist, aber nicht richtig starten will. Zum anderen, wenn es anfangs gut lief, aber die aufwändig angestoßene Initiative mittlerweile versandet ist. Tatsächlich sind dies aus unserer Sicht die zwei kritischsten Punkte einer Kulturtransformation. Sie bedürfen daher auch besonderer Beachtung in der Planung von Transformationsarchitekturen.

Wie der von Gartner beschriebene Hype Cycle für die Übernahme neuer Technologien oder die der Kulturanthropologie bekannte Welle eines Kulturschocks, so folgen unserer Erfahrung nach auch Kulturtransformationen einer bestimmten Dynamik: Im positivsten Fall gelingt nach einem (1) Veränderungsimpuls ein (2) begeisterter Aufbruch aus einem gewohnten Kulturmuster ins Neue. In Workshops oder anderen Veranstaltungen werden zum Beispiel mit einem enthusiastischen “Das machen wir jetzt!” Pläne für das neue Handeln in der Zukunft geschmiedet. Genauso, wie jedoch so viele Neujahrsvorsätze (vgl. Joggen, Abnehmen, Nichtrauchen ;-)) nicht einmal den Januar überleben, so schluckt der Alltag in sehr vielen Fällen die gestartete Kulturinitiative. Die Aura des Neuen verfliegt. Man macht die ersten Erfahrungen, dass es doch nicht so leicht ist, wie man dachte. Andere Dinge erfordern wieder die Aufmerksamkeit. Der Alltagsstress kehrt zurück… Häufig wird dieses Zurückpendeln auch als Widerstand fehlinterpretiert. Dabei sind es meist „nur“ erfolgreiche Einladungen des Alltags, wieder ins gewohnte und etablierte Kulturmuster zurückzukehren. Wenn sich die geplante Transformation hier nicht schon erfolgreich ausgeschlichen hat, so macht sich spätestens hier (3) Frustration breit. Wenn es aber gelingt, aus dieser Frustration dennoch immer wieder in die Denkhaltungen, Interaktionsmuster und Handlungsweisen des neuen Kulturmusters vorzustoßen, so findet (4) eine Reifung des Neuen statt, die sich in (5) vollständiger Integration auswachsen kann. Erst jetzt ist das neue Kulturmuster vollständig transformiert, ohne in der Gefahr zu sein, wieder zurück ins Gewohnte zur rutschen.

Zur Beschreibung der drei aus unserer Sicht wichtigen transformationsarchitektonischen Erfolgsfaktoren, die diese schwierige Dynamik meistern und den Hürden von Kulturtransformation optimal begegnen, hat sich bei uns mittlerweile folgender Slogan etabliert: “Two Swings and Safe Space!” In einem ersten Aufschwung (1st Swing) muss Enthusiasmus etabliert werden, in einem zweiten (2nd Swing) muss das Abrutschen in die Frustration abgefedert und die Reifung gefördert werden. Diese beiden Aufschwünge erfordern – wie wir gleich ausführen werden – andere, sogar fast gegensätzlich gelagert Interventionen. Beide Aufschwünge bedürfen jedoch eines sichernden Rahmens (Safe Space) – nur so ist es möglich, dass Menschen Neuland betreten und ihre persönliche Komfortzone verlassen, um in eine wirkliche Transformation zu gehen. 

1st Swing: Sinnstifung, Inspiration & Beteiligung

Menschen prüfen jede angedeutete Veränderung sogleich im Hinblick auf Vor- und Nachteile. Ist die Zukunft attraktiv, so spricht nichts dagegen, sich ihr zuzuwenden. Ist sie nicht per se attraktiv, so bedarf es guter Argumente, sich ihr trotzdem zuzuwenden und sich auf den Weg zu machen. Für eine erfolgreiche Gestaltung von Kulturtransformation bedeutet dies: Es bedarf einer Initiativenergie zur Erzeugung von Enthusiasmus und Begeisterung für das neue Kulturmuster und um die Menschen und die Organisatio “in Bewegung” zu bringen. Dies wird am besten erreicht, in dem man eine gute “Erzählung” zur Sinnhaftigkeit der neuen Kultur etabliert (Purpose, Urgency und Vision), auf unterschiedlichen Ebenen Inspirationsquellen erschließt und Teilhabe der Menschen gestaltet. Menschen verändern sich gerne – sie werden jedoch ungern verändert. Die Schaffung von partizipativen Freiräumen, in denen sich Menschen selbst entscheiden dürfen, welche Muster der Kultur sie zuerst transformieren möchten, erzeugt die notwendige Anschubenergie für die Transformation. 

2nd Swing: Routinen, Ausdauer & Reflexion 

Wenn Freiraum und Autonomie wichtig für den ersten Aufschwungs sind, so werden gegengelagert “disziplinierende” Energien wichtig für den abfedernden zweiten Aufschwung. In dieser Phase geht es darum, das Commitment für die Veränderung hochzuhalten und Routinen auszubilden, die die Nachhaltigkeit absichern. Es ist die anstrengende Arbeit der Schaffung und Beschreibung von neuen Rollen, der Etablierung von neuen Strukturen und Prozessen, der Übersetzung von Ideen in Rituale und Artefakte, die dies allein möglich macht. Dies erfordert Geduld, Hartnäckigkeit und Management Attention. Konsequentes Monitoring, regelmäßige Reviews und rückkoppelnde Retrospektiven bemerken ein Abrutschen frühzeitig und dokumentieren transparent die kleinen Schritte hin zur sicheren Verankerung der neuen Kultur. Zur Entlastung für alle Verantwortlichen: Der in der Grafik gezeichnete Abschwung ist in komplexen Systemen unumgänglich. Er kann nur mehr oder weniger tief ausfallen.

Safe Space: Vertrauen, Wertschätzung & Toleranz

Transformation beginnt mit einem Schritt aus der persönlichen Komfortzone. Und niemand kann das Neue beim ersten Versuch. Eine neue Kultur zu leben bedarf des Verlernens des Gewohnten und des Erlernens des Ungewohnten. Damit sich Menschen in hierarchischen Kontexten darauf einlassen, brauchen sie ein sicheres Lern- und Experimentierfeld. Sie benötigen Sicherheit, um ins Risiko gehen zu können. Sie bedürfen der Möglichkeit zu scheitern und aus Fehlern zu lernen. Ihnen hilft Motivation, um es noch einmal zu versuchen… Es hat sich daher bewährt beim Design von Umsetzungsarchitekturen eher nach dem Muster small enough to handle zu denken. In der hierarchischen Organisation ist es vor allem Führungsaufgabe, Safe Space zu etablieren. Vertrauen zu schenken, wertschätzend die ersten kleinen Erfolge zu feiern und erstes Scheitern nicht reflexartig zu sanktionieren gehört zu den wichtigsten Funktionen von Führung in der Transformation von Kulturmustern. 

Jede Transformationsarchitektur, die wir aufsetzen, berücksichtigt diese drei Erfolgsfaktoren und bildet sie durch unterschiedliche Interventionen und Formate ab. Da Kultur nicht als einheitliches Ganzes in einer Hauruckaktion gedreht werden kann, ist es sinnvoll, einzelne Kulturmuster nach und nach in einer iterativen Logik in die Transformation zu bringen. Für jedes Kulturmuster und jede Iteration werden die Two Swings & Safe Space dann einzeln abgesichert. Zur Erleichterung der Planung haben wir ein Canvas entwickelt, das hier heruntergeladen werden kann. Mit diesem Vorgehen können unserer Erfahrung nach am leichtesten schnelle Signalerfolge generiert werden. Und nur so kann die ganzheitliche Nachhaltigkeit der Kulturtransformation gesichert werden. Getreu dem Motto von Duke Ellington: „It don’t mean a thing if it ain’t got that Swing!“

Johannes Ries und Christian Fust