Wir haben ein neues Framework entwickelt, das Teams befähigt, selbstorganisiert und gleichzeitig effektiv und präzise die eigene Kultur zu transformieren.
„Kultur“ ist dabei ein großes Wort. Es ist die weiteste, da ganzheitliche (und damit enorm hilfreiche) Perspektive, die man auf Organisation und Leistungsfähigkeit einer Organisation, einer Abteilung oder eines Teams werfen kann. Kultur ist komplex, die Veränderung von Kultur noch komplexer. Und Kulturveränderung findet heute zusätzlich in einer volatilen und dynamischen Welt statt. Komplexität hoch drei, quasi. Gleichzeitig: Kultur entsteht da, wo Menschen „sie machen“. Sie verändert sich da, wo Menschen sie verändern. Und die wichtigsten Keimzellen für wirklich (neu) gelebte Organisationskultur sind Teams: Kleine Gruppen von Menschen im intensiven Kontakt miteinander, die die eigene Veränderung selbst in der Hand haben und sie gemeinsam angehen.
In den vergangenen Jahren haben wir uns viel mit der Frage beschäftigt, wie wir Transformationsprozesse mit Tools und Konzepten unterstützen können. Wir haben mit dem New Work Explorer in vielen Projekten Organisationskulturen analysiert und Veränderungsimpulse gesetzt. Mit unserem modularen Culture Transformation Design haben wir spezifische Transformationsarchitekturen für Unternehmen aufgesetzt und begleitet. Immer wieder haben wir dabei in unterschiedlichen Projekten unsere Tools und Konzepte individuell kombiniert. Und wir haben eine große Anzahl von Organisationsentwickler:innen, Agile Coaches, Change Manager:innen, Führungskräfte und Teams in Ausbildungen befähigt, an bestimmten Stellen wirksam Kultur zu verändern. Dabei wurden wir oft gefragt, wann wir denn endlich ein Buch schreiben. Oder ob es das alles in zusammengefasster Form gibt. Aus diesen Rückmeldungen entstand die Idee zu CULTIVATE!, einem kompakten Metakonzept, mit dem Kulturtransformation trotz aller oben erwähnter Komplexität klar, präzise und effizient organisiert werden kann. Wie so oft setzen wir dabei auf eine Kombination der motivierenden und komplexitätsresilienten Kraft von Selbstorganisation mit der Präzision von rahmengebenden Templates und Canvases. Entstanden ist das folgende Framework, welches wir hier gerne teilen (in einem Folgebeitrag werden wir dann unter dem Titel CULTIVATE@SCALE die Prinzipien einer auf die gesamte Organisation skalierten Kulturtransformation vorstellen).
CULTIVATE! ist in zwei Phasen organisiert: In der ersten Phase bereitet das Team mit einer klaren Schritt-für-Schritt Logik die eigene Kulturtransformation vor. In der zweiten Phase implementiert das Team mit einer agilen Sprintlogik die neue Kultur iterativ durch konsequentes Prototypisieren.
1. Phase: Preparation
Schritt 1: Awareness
Zunächst ist es wichtig, dass die Betroffenen und Beteiligten im Team ein gemeinsames Verständnis des Phänomens Kultur entwickeln. Aus einer Vielzahl von Theorien, Definitionen und Beschreibungen haben wir die wichtigsten Punkte als Essenz zusammengetragen und in einfach verstehbaren Postern visualisiert. Wir sehen dabei ein Kulturmodell als hilfreich und orientierungsstiftend an, das Kultur in Ebenen und Dimensionen unterteilt. Auch unser New Work Explorer folgt dieser Logik. Das Team lernt fünf Ebenen kennen, auf denen sich Kultur sinnvoll beschreiben lässt. Quasi vertikal durchschnitten werden diese Ebenen von Kulturdimensionen. Diese Unteraspekte der Organisationskultur kann das Team mit Wie-Fragen selbst ergründen. Wie zum Beispiel lösen wir im Konflikte? Oder: Wie stellen wir die Leistung unseres Teams sicher? In diesem ersten Schritt erlangt das Team aber nicht nur ein Verständnis davon, was Kultur ist, sondern auch, wie sie sich dynamisch verändert bzw. welches die Erfolgsfaktoren für Kulturtransformation sind.
Schritt 2: Exploring
Mit diesem Verständnis erkundet das Team nun die eigene gelebte Kultur. Der von uns entwickelte New Work Explorer macht diesen Schritt sehr einfach. Das Team kann jedoch auch anderweitig entlang einer Dimensionen-Reflexion den eigenen kulturellen Mustern auf die Spur kommen und damit ein gemeinsames Bild zu schaffen, „wie wir die Dinge in unserem Team tun“.
Als nächstes identifiziert und benennt das Team die aktuellen und zukünftigen Hürden, Schwierigkeiten und Probleme (Painpoints). Dieser Schritt ist aus unserer Erfahrung wichtig, da er vermeidet, dass Kultur unspezifisch verändert wird. Kulturtransformation entwickelt dort Veränderungsenergie, wo sich aus Sicht der Betroffenen der Einsatz wirklich lohnt. Transformation sollte ein bewusster Prozess sein, der den Energieinvest aller Beteiligten wertstiftend einsetzt. CULTIVATE! geht daher in jedem Schritt möglichst sorgsam und effizient mit den vorhandenen Ressourcen um.
Schritt 3: Focusing
Ein Abgleich der Painpoints mit dem Profil der gelebten Kultur gibt nun Hinweise auf die Stärken des Teams, aber vor allem auch auf und die notwendigen Kulturmusterwechsel. Diese arbeitet das Team durch eine genaue Unterscheidung von Optimierungspotentialen (wir bleiben bei unseren Mustern) und Disruptionsnotwendigkeiten (wir wechseln unsere Muster) heraus. Im Anschluss daran erarbeitet das Team einen Elevator Pitch, in dem es die Vision von der eigenen Kulturtransformation prägnant zusammenfasst. Dies ist zum einen wichtig, um im Team ein klares gemeinsames Zukunftsbild zu haben. Zum anderen hilft es dem Team in der Kommunikation des Transformationsvorhabens gegenüber anderen Teams, Vorgesetzten und weiteren Stakeholdern.
Schritt 4: SETTing
Der folgende Schritt beendet die Vorbereitungsphase. In ihm wägt das Team gemeinsam ab, bei welchen Musterwechseln sich der Einsatz wirklich lohnt. Das Team skizziert Seeds. So nennen wir Kulturtransformations-Initiativen, die „klein genug“ sind, um vom Team selbst pragmatisch in kurzer Zeit implementiert werden zu können. In einer Matrix priorisiert das Team die Seeds nach Aufwand und Wirkung und leitet daraus ein Backlog für die aktuell avisierte Kulturtransformation ab.
Spätestens an dieser Stelle des Prozesses sollte die Rolle TeamCultivator (von einem oder mehreren Teammitgliedern) besetzt werden. Die Schaffung und Besetzung dieser Rolle sichert ab, dass in der Transformation der Rahmen gehalten, Kulturdynamiken reflektiert und positiv genutzt, sowie wichtige Stakeholder integriert werden. Aus unserer Sicht sind dies wichtige Faktoren, die Erfolg oder Scheitern der Transformation mit ausmachen.
Das Team entscheidet nun gemeinsam, was es noch benötigt, um für den Transformationsprozess gewappnet zu sein – unter Berücksichtigung von z.B. Ressourcen, Kompetenzen und aller weiteren limitierenden und unterstützenden Faktoren. Sind wir motiviert? Haben wir einen sicheren Raum geschaffen? Ist es SETT (safe enough to try)? Die linear, d.h. Schritt für Schritt verlaufende Planungsphase ist damit abgeschossen.
2. Phase: Agile Cultivation
Ab jetzt steigt das Team in eine agile Logik der Kulturtransformation ein. Die zweite Phase orientiert sich am bewährten Vorgehen von Scrum, einem Framework, mit dem im komplexen Umfeld erfolgreich und schnell Produkte entwickelt werden können. Wir legen dieses agile Format in angepasster Form auf das komplexe Feld der Kulturtransformation um.
In Culture Sprints, d.h. in klar festgelegten Zeiteinheiten (von z.B. einem Monat), versucht das Team gemeinsam, durch die Fokussierung auf die gesammelten Seeds einen neuen Prototyp der eigenen Kulturvision iterativ ins Leben zu bringen. Nach Abschluss eines Culture Sprints beginnt das Team mit einem neuen und optimiert damit den Kulturprototypen immer weiter – so lange, bis es die eigene Kulturvision als ausreichend implementiert bewertet.
Innerhalb eines Culture Sprints folgt das Team folgendem Ablauf:
1. Culture Sprint Planning
Der Culture Sprint startet mit einem gemeinsamen Meeting, in dem das Team den Sprint gemeinsam plant. Dabei überführt es die Seeds mit höchster Priorität aus dem Culture Transformation Backlog in das Sprint Backlog. Das Team beschreibt dann jeden Seed im Sprint Backlog möglichst präzise mit Implikationen auf den Kulturebenen. Es muss allen Beteiligten klar sein, auf welchen Ebenen der Seed wie erlebbar wird und entsprechend genährt und unterstützt werden kann. Jeder Seed sollte small enough to start sein. Das heißt, es muss für das Team tatsächlich möglich sein, den Seed innerhalb des Zeitraums des Culture Sprints in stabiles Wachstum zu bringen. Die Sammlung der Seeds fasst das Team in einem Sprintziel zusammen. Außerdem reflektiert es, wie der für eine gute Entwicklung notwendige Vertrauensraum (Safe Space) aufgespannt werden kann.
2. Culture Sprint
Nach dem Culture Sprint Planning versucht das Team die priorisierten Seeds in die Zusammenarbeit zu integrieren und den neuen Prototyp der Kulturvision zu leben. Die Kulturebene der Artefakte, Prozesse und Strukturen soll bewusst zur Unterstützung genutzt werden. Dies ist im Planungsprozess bereits angelegt. Das Team probiert aus und lernt, innerhalb des definierten Sprintziels bewusst anders zu handeln, anders wahrzunehmen, anders zu denken… Es geht nicht darum, dass es das Team sofort perfekt macht, sondern dass es mit größtmöglichem Engagement versucht, die Dinge anders zu machen und damit Erfahrungen zu sammeln.
3. Culture Sprint Review
Am Ende des Culture Sprint prüft das Team im Culture Sprint Review (mit Unterstützung der:s TeamCultivator) kritisch, ob es das Sprintziel erreicht hat und wie zufrieden es mit der Implementierung des neuen Kulturprototypen ist. Es evaluiert dabei auch die Entwicklung, den Fortschritt und den Reifegrad jedes einzelnen Seeds. Wie stabil ist das Wachstum der Seeds bzw. der Entwicklungsprozess? Welche Seedskönnen in Blüte bzw. als implementiert „abgehakt“ werden? Welche Seeds müssen noch einmal in den nächsten Sprint genommen werden bzw. weiter itertiert oder präzisiert werden? Möglicherweise möchte das Team auch das Culture Transformation Backlog neu priorisieren, ergänzen oder anpassen und einzelne Seedspräzisieren, umformulieren oder auch verwerfen.
4. Culture Sprint Retrospektive
Gleich nach dem Culture Sprint Review reflektiert das Team in der Culture Sprint Retrospektive den gemeinsamen Teamprozess (und auch die Wirksamkeit der TeamCultivator-Rolle). Hierbei sollten die Teammitglieder im Dialog vor allem teilen, wie sie die Teamenergie und das Klima des Vertrauens wahrnehmen, welche Hürden sie sehen und welche Verbesserungsideen sie für den nächsten Sprint haben. Zu letzteren formuliert das Team gemeinsam eine klare Verbesserungsmaßnahme (Kaizen Item), die es im kommenden Sprint fokussiert umsetzen möchte.
Nach der Culture Sprint Retrospective startet der nächste Culture Sprint mit dem Culture Sprint Planning…
Das Team wiederholt dieses Vorgehen so lange, bis es der Meinung ist, dass es die Kulturvision nachhaltig ins Leben gebracht hat. Das heißt, es finden so lange Culture Sprints statt, bis das Team alle (wichtigen) Seedsaus dem Culture Transformation Backlog mit einem hohen Reifegrad und krisenstabil in den Alltag integriert hat. Wenn dies der Fall ist, schließt das Team den Transformationsprozess gemeinsam mit der:m TeamCultivator ab.
Für CULTIVATE! haben wir 15 Poster für den ersten Schritt der Awareness-Bildung zusammengestellt und 13 Templates entworfen, mit denen jeder einzelne Schritt vom Team selbstorganisiert, aber mit der notwendigen orientierenden Rahmenführung und Präzision durchgeführt werden kann.
CULTIVATE! fokussiert sich auf Teams als fruchtbare Keimzellen für einen effizienten und effektiven Kulturwandel. In einem Folgebeitrag werden wir wie bereits erwähnt mit CULTIVATE@SCALE Prinzipien vorstellen, mit denen die teambasierte Kulturtransformation für die gesamte Organisation orchestriert werden kann.
Johannes Ries und Christian Fust