Veränderung der Zukunft

Transformation statt Change

>> Wir nehmen wahr, dass die Komplexität von Veränderungsprozessen derzeit deutlich zunimmt. Die Einflüsse von außen werden vielschichtiger und vernetzter, gleichzeitig wird für Reaktionen immer weniger Zeit zugestanden. Zielbilder werden unkonkreter und die Herangehensweise bzw. die Steuerung der Transformation muss ständig den Rahmenbedingungen und den Erwartungen der Auftraggeber bzw. Multi-Stakeholdergruppen angepasst werden.

Zudem gibt es aus unserer Sicht kaum noch einen Veränderungsprozess, der nicht „defizitär“ angelegt ist. Oft wird versucht, „das Unmögliche möglich“ zu machen. Beim genaueren Abgleich zwischen der meist fuzzy gehaltenen Vision und den zur Verfügung stehenden Ressourcen kommen die Betroffenen  schnell zu dem Schluss: „Das geht so nicht, wir brauchen mehr…!“

Wo es früher schon schwer war, Change in einfachen oder komplizierten Kontexten zu managen, soll heute Veränderung im Territorium der Komplexität bzw. des Chaos erfolgen (um in Staceys Kategorien zu sprechen). Demzufolge müssen sich aus unserer Perspektive zwangsläufig auch die Logik und Architektur von Transformationsprozessen wandeln (wir sprechen ganz bewusst von „Transformation“ und nicht mehr von „Change“, um diesen Unterschied deutlich zu machen).

 

Prinzipien einer neuen Transformationsarchitektur

Was folgt nun daraus? Aus unserer Erfahrung aus konkreten Change- und Transformationsprojekten und unserer intensiven Auseinandersetzung mit agilen Arbeitskulturen haben wir bisher elf Prinzipien einer Transformationsarchitektur der Zukunft formuliert. Wir betrachten diese als ersten Prototypen, unser Entwicklungsprozess ist nicht abgeschlossen. Wir lernen mit jeder Transformation dazu…

 

Transformationsteam und Steuerung

>> Prinzip 1: Die Steuerung der Transformation erfolgt durch ein selbstorganisiertes Transformationsteam

Wo früher eine Führungskoalition oder ein Change Manager die Veränderung verantwortete, wird die komplexe Transformation von einem Trafo-Team gesteuert. Diese hat einen klar definierten Purpose (Sinn-Zweck) mit Fokus auf das Transformationsziel. Es definiert und beschreibt selbstorganisiert die für das Gelingen der Transformation relevanten Rollen (s.u.), deren Verantwortlichkeit(en), die eigenen Ressourcen, relevante Entscheidungsprinzipien sowie Mitteilungsplattformen (Transparenz). Das Trafo-Team sorgt dafür, dass die Rollen personell besetzt werden (wobei jedoch die Rolle von der Person getrennt betrachtet wird). Die Kultur des Trafo Teams ist entsprechend unserer Idee von post-agilen Organisationen radikal pluralistisch: Die Teammitglieder agieren dialogisch im Spannungsfeld von maximaler Freiheit bei gleichzeitig maximaler Ankopplungsfähigkeit der Rollen im Team.

>> Prinzip 2: Erfolgsrelevante Steuerungsfaktoren, Stabilisatoren und Katalysatoren der Transformation werden über Rollen abgesichert

Die Verteilung und die Beschreibung der Rollen im Transformationsteam orientiert sich an Erfolgsfaktoren für Transformationsprozesse. Wir haben bisher 24 Faktoren identifiziert: acht Steuerungsfaktoren, acht Stabilisatoren und acht Katalysatoren. Je nach Komplexitätsgrad und Umfang des Transformationsprozesses, aber auch nach Größe, Ressourcen, Kompetenz und Erfahrungen des Trafo-Teams werden die 24 Erfolgsfaktoren zu unterschiedlich vielen Rollen gebündelt.

>> Prinzip 3: Das Transformationsteam nutzt agile Methoden, um die eigene Zusammenarbeit zu optimieren und Transparenz sicherzustellen

Das Trafo-Team respektiert die aufgestellten Prinzipien und überwacht die Einhaltung durch die Vergabe einer Governance-Rolle. Seine Zusammenarbeit findet in Sprintzyklen statt, und es nutzt bewährte Tools der agilen Steuerung (z.B. Backlog, Transformationsboard nach Kanban-Logik). Der Fortschritt der Transformation wird „in Echtzeit“ für jedermann einsehbar dokumentiert.

>> Prinzip 4: Review und Retrospektive sind feste Bestandteile der Iteration

Die Arbeitsergebnisse der Rolleninhaber werden im Sprintreview vergemeinschaftet und bewertet. Das Review der Rolleninhaber garantiert so die kontinuierliche Abstimmung der Zwischenziele. Gleichzeitig ist das Trafo-Team in regelmäßiger Retrospektive darüber im Dialog, wo es in der eigenen Zusammenarbeit Hürden hat und sich im „Wie“ der Rollenerfüllung optimieren kann. Die Planung der Iterationsschleifen und die damit verbundene Zieldefinition für den nächsten Sprint erfolgt gemeinschaftlich im Trafo-Team. Das gemeinsame Backlog und Transformationsboard garantiert Synchronisierung und die effiziente Nutzung der vorhandenen Ressourcen.

 

Iteration, Kybernetik und Spannungsintegration

>> Prinzip 5: Hürden werden fokussiert und Spannungen antizipiert

Wie auch in klassischen Change-Prozessen, so stehen auch in komplexen Transformationen Hürden im Weg. Und es breiten sich Spannungsfelder aus, die den Prozess stagnieren lassen und einen Pull-Back Effekt generieren können. Die frühzeitige Fokussierung auf die Überwindung dieser Hürden erzeugt Pull-Forward Effekte und fördert entsprechend die Transformation. Wir haben für unsere Beratungsarbeit neun „klassische“ Hürden bzw. Spannungsfelder visualisiert. Mit diesen sensibilisieren wir die jeweiligen Rollenträger, um für sie die entscheidenden Hürden leichter überwindbar und Spannungsfelder frühzeitig antizipierbar zu machen.

>> Prinzip 6: Die Transformation wird iterativ gestaltet

Iterationsschleifen bzw. Sprints dienen der Prototypisierung der Zielbildes und ermöglichen die unmittelbare Auswertung von Erfahrungen und Wirkungen. Sie erlauben eine zeitnahe und kontinuierliche Anpassung auf Einflüsse von außen und innen. Die Sprintzyklen der Transformation können dabei der Dynamik von Phasen (vgl. z.B. Changekurve nach Kübler Ross) folgen bzw. mit diesen synchronisiert werden. Die Anzahl der Iterationsschleifen und die Länge der Sprints wird der Komplexität und Dynamik des Prozesses angepasst.

>> Prinzip 7: Die Steuerung erfolgt kybernetisch.

Im Sinne der Kybernetik erfolgt die unmittelbare Steuerung über die direkte Auswertung von Resonanz, Feedback und Rückkopplung. Die Resonanzaufnahme und Auswertung wird durch ein Monitoring systematisch vorgenommen. Die Verantwortlichen sichern diesen Prozess über klare Rollenzuschreibungen und -verantwortlichkeiten ab.

 

Effektuieren, Selbstverantwortung und Perspektivenvielfalt

>> Prinzip 8: Es wird mit vorhandene Ressourcen „effektuiert“

Der Ansatz des Effektuierens fokussiert darauf, mit dem, was zur Verfügung steht produktiv nach vorne zu planen und jedes Hindernis als Lernchance zu begreifen. Wie oben ausgeführt gehen wir davon aus, dass Transformationsprozesse in Zukunft zunehmend „defizitär“ angelegt sind. Aus effektuierender Sicht sind sie, wie sie sind. Und wir machen das Mögliche daraus.

>> Prinzip 9: Autonomie und Selbstverantwortung der beteiligten Personen werden maximal geschützt

Durch Transparenz und maximale Beteiligung der betroffenen Personen wird sichergestellt, dass diese im Verlauf der Transformation bewusste Entscheidungen für ihr Wohl und das Wohl der Organisation treffen können. Sie sollen in die Lage versetzt werden, selbst- und mitverantwortlich über ihre Zukunft mitentscheiden zu können bzw. im Rahmen der Möglichkeiten diese mitzugestalten. Die sich darauf ergebende Spannung wird in den Prozess integriert.

>> Prinzip 10: Die Vielfalt der Perspektiven wird dialogisch integriert

Es versteht sich von selbst, dass Menschen die sie betreffende Transformation unterschiedlich wahrnehmen. Die Transformationsarchitektur, die uns vorschwebt, respektiert diese Vielfalt radikal und versucht das aus dieser Vielfalt erwachsene Potenzial sowie die sich ergebenen Spannungsenergien positiv zu nutzen. Dies erfordert dialogische Formate, ein konsequentes Agieren auf Augenhöhe und eine authentische Offenheit der Transformationsbegleiter im Umgang mit eigenen Perspektiven und Spannungen.

 

Autonomie der Organisation

>> Prinzip 11: Das Beraterteam arbeitet konsequent an der eigenen Abschaffung

Unsere Vision ist es, eine Transformationsarchitektur zu entwerfen, die keiner externe Begleitung bedarf. Gleichzeitig wissen wir, dass (in bestimmten Phasen der Transformation) eine supervidierende, rückmeldende und befähigende externe Rolle notwendig sein kann, um Transformationsprozesse in Organisationen erfolgreich aufzusetzen. Unsere Aufgabe sehen wir in diesem Fall vor allem darin, gemeinsam mit dem Kunden die Transformationsarchitektur auf die jeweiligen Ansprüche des Prozesses abzustimmen und das Trafo-Team und seine Mitglieder für die Umsetzung maximal zu befähigen. Wir sehen uns als erfolgreich an, wenn die Selbstorganisation der Kunden soweit hergestellt ist, dass es unserer Begleitung nicht mehr bedarf.

 

Christian Fust und Johannes Ries